Darf man im Geheimen schimpfen?

Vor dem Hinausschauen aus dem Fenster heute Nachmittag hatte ich noch keine Ahnung, worüber ich schreiben soll – danach schon.

Irgendwie regt mich diese derzeitige politische Aufgeregtheit und Angerührtheit ein wenig auf. Gut, wir alle sollten nicht sündigen – weder in Gedanken, noch mit Worten und schon gar nicht mit Werken. So verlangt es die christliche Weltanschauung.

In diesem Sinne sind bereits alleine die Gedanken „Rotes G’sindl“, „Schwarze Brut“, „Blaue Bagage“, „Grüne Hinhappler“ oder „Pinke Vollkoffer“ zu verurteilen, aber logischerweise nur von jemand, der unsere Gedanken zu kennen weiß. Andererseits heißt es spätestens seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in einem Volkslied: Gedanken sind frei!

Es stellen sich für mich mehrere Fragen. Darunter diese:

1.) Warum glauben manche in politischen Gruppierungen, dass es Sinn macht, politische Gegner zu beschimpfen, zu beleidigen oder zu diffamieren? Warum glauben manche in politische Gruppierungen, dass es Wählerstimmen bringt, die Ideen anderer lächerlich zu machen, statt bessere zu bringen?

2.) Das politische Geschäft ist kein einfaches. Warum arbeiten politisch Tätige nicht mehr zusammen und tun etwas für das Ansehen dieses wichtigen und in einer Demokratie unerlässlichen Berufes, statt diesen mehr und mehr zu verunglimpfen?

3.) Ist es ein Unterschied, ob ich etwas im kleinen, vertrauten, familiären oder freundschaftlichen Kreis sage oder in aller Öffentlichkeit?

Frage 3.) möchte ich für mich versuchen zu beantworten. Ja, es ist ein Unterschied und es macht auch einen Unterschied. Wer von uns hat nicht – wenn er „unter sich“ war – jemand als „Trottel“, „Idioten“, „Vollkoffer“ oder „A..loch“ bezeichnet? Oder gar als „G’sindl“, „Bagage“, „Hinhappler“, „Vollkoffer“ oder „Brut“. Möglicherweise hat die oder der eine unter uns auch schon einmal den Himmelvater selbst in aller Stille beleidigt mit einem „Himmel, Herrgott noch einmal“. Aber wahrscheinlich würde niemand von uns dies in aller Öffentlichkeit tun. Auch aus einer gebotenen Höflichkeit und auch aus Wertschätzung dem anderen oder der Göttlichkeit gegenüber.

Es soll bereits vorgekommen sein, dass ein dicker Jemand in vertrauter leutseliger Runde schon einmal als „Blade Sau“ bezeichnet wurde, oder jemand mit einem größeren Pfrnak als „Nasenbär“, oder jemand, der nicht in ein oberflächliches Schema passt als „Schiachperchtn“.

Ich bin jetzt beileibe nicht der Verteidiger unserer Landeshauptfrau, aber es macht einen Unterschied – und es muss einen machen -, ob man etwas in aller Öffentlichkeit, in einer Rede, einem Interview oder einem Kommentar von sich gibt oder sich in vertrauter Zweisamkeit (und dazu gehören auch SMS und Chats) mitteilt oder auskotzt. Außer – selbstverständlich – es handelt sich um eine Unterredung für einen verbrecherischen Akt.

Ich möchte nicht wissen, als was alles ich schon von meinen politischen Mitbewerbern bezeichnet wurde. Und ich gebe unumwunden zu, dass auch in meinem mir nahen Bereich nicht unbedingt nur Positives über andere gesagt wurde. Und ich bin mir sicher, dass im Laufe der letzten Jahre auch Frau Mag. Mikl-Leitner mit Begriffen bedacht wurde, die man nicht in einem Fernsehinterview wiederholen würde – möglicherweise auch von jenen, die sich jetzt so gekünstelt aufregen.

Eine Frage, die uns alle beschäftigen sollte, ist allerdings die, wie es möglich ist, dass rein private Unterhaltungen plötzlich durch irgendwen in die Medien kommen, die so etwas liebend gerne aufgreifen – offenbar auch angebliche investigative Formate. Warum – nächste Frage – erinnert mich das jetzt in abgeschwächter Form schon irgendwie an vergangene (ich dachte: überwundene) Zeiten der Diffamierungen bei den ungerechtfertigten Hexenverfolgungen oder der Blütezeiten der Blockwarte oder ….

6 Gedanken zu „Darf man im Geheimen schimpfen?

  1. Sigrid Jonak

    Früher hat es einmal ein Briefgeheimnis gegeben,
    der Inhalt war geheim, der Empfänger und Adressant bekannt.
    Heute ist es umgekehrt, keiner weiß, wer was schreibt, (versteckt, anonym) aber der Inhalt wird in allen Medien verbreitet.
    Ich denke, dass gerade Politiker in diesen medialen Zeiten umdenken müssen und sich genau überlegen sollten, wo sie was sagen..
    denn das „normale“ entschuldigen, wie es früher üblich war, gilt heute scheinbar nicht mehr

  2. Wiener Neudorfer

    Lieber Herr Janschka!

    Ihren Ausführungen kann ich nur vollinhaltlich zustimmen.

    Aber all diese Vorgänge und Verhaltensweisen bilden eben auch den derzeitigen Zustand unserer Gesellschaft ab.

    Auf der einen Seite sind wir alle extrem dünnhäutig und dauerhaft aufgescheucht – gleichzeitig teilen wir aber alle gerne auch mit der gleichen rüden Art aus.

    Wo sind Tugenden wie Höflichkeit, Mitgefühl, Zurückhaltung, Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Dankbarkeit, Zuhören, Leben und leben lassen …….. geblieben?

    Es ist aber so, dass gerade Persönlichkeiten, die „in der öffentlichen Wahrnehmung“ stehen, eben auch vermehrt darauf achten müssen, was sie von sich geben.
    Selbst, wenn das zutiefst private Gespräche sind, werden diese, wenn veröffentlicht, an dem sonstigen Verhalten in der Öffentlichkeit gemessen.

    „Wasser predigen, aber Wein saufen!“
    Dieser Spruch fällt mir dazu oft ein. Nach außen wird der perfekte, integre Mensch dargestellt, aber die Wahrheit offenbart sich dann anders.

    Jede Bemerkung, die öffentlich wird (und da nehme ich mich nicht aus) zeigt einen gewissen Charakter, eine Befindlichkeit, eine Art mit der Welt und den Mitmenschen (in Gedanken) umzugehen.

    Covidleugner, Covidioten, Schwurbler, Verschwörungstheoretiker, Nazis, Querdenker, Reichsbürger, Rechtsextremisten, Ausländerfeinde, Frauenfeindliche, allesamt krankhafte „XXX-Phoben“!
    Gesindel, Pack, Demonstranten, Tiere, Klimaleugner, Putinversteher, Windkraftgegner……..
    Das Vokabular ist schier unerschöpflich, das unsere Volksverteter gerne in den Mund nehmen.

    Aber wehe, der Bürger sagt: dumme, charakterlose, korrupte, machtgeile Politiker.

    Wo sind wir alle gelandet?

    Abrüstung der Worte?
    Ja, unbedingt!

    Aber für uns ALLE, oder?

    Dieses demokratische System kann nur überleben, wenn bei allen Mitmenschen wieder mehr Charakter einkehrt, mehr Zurückhaltung und mehr Höflichkeit.

    Das kurze Kurz-Interregnum hat nur all diese Fehlentwicklungen offensichtlich und auf einen Punkt gebracht.
    Das Volk lässt sich das einfach nicht mehr gefallen.

    Also hoffen wir alle, dass es wieder bessser wird!

    Alles Gute!

  3. Markus

    Sie „dürfen“ so viel im Geheimen schimpfen, wie Sie möchten.
    Wenn jedoch Person A bei Person B in vertrauter Zweisamkeit über Person/Institution C schimpft, dann sagt das im Regelfall am meisten über Person A aus.

    Sie „dürfen“ auch in einem regulären Brotberuf außerhalb der Politik in vertrauter Zweisamkeit über Ihren Kollegen im Geheimen so viel schimpfen, wie Sie möchten.
    Falls das jedoch durch irgendwen herauskommt, müssen Sie sich dort ebenso einige Fragen oder gar Ihre Kündigung gefallen lassen. Und je nachdem, wie (um es in Ihren Worten auszudrücken) „angeblich investigativ“ Ihr Chef ist, wird er/sie/es diesen Vorfall „liebend gern aufgreifen“ und möglicherweise an alle Angestellten der Firma kommunizieren.

    Der Arbeitgeber aller Politiker ist der Staat und somit wir alle.
    Ich sehe keinen Widerspruch darin, dass die diversen politischen Unterhaltungen der vertrauten Zweisamkeit nicht auch mit allen Bürgern des Staates geteilt werden sollten, sobald diese Unterhaltungen aufgedeckt wurden.

    Oder um es in Ihren eigenen so oft gebrauchten Worten zu sagen:
    Es gibt nun mal Regeln und an die muss man sich halten.
    In diesem konkreten Fall sind es die Regeln innerhalb unserer Gesellschaft für einen guten Umgang miteinander.

    Schimpfen Sie im politischen Kontext also lieber nicht zu ausgiebig in vertrauter Zweisamkeit. Es könnte irgendwann einmal an die Öffentlichkeit kommen.
    Diffamierende Blockwarte, die den privaten Impfstatus anderer Gemeindepolitiker in Gemeinderatssitzungen öffentlich kundtun, gibt es ja bereits ausreichend.

  4. schwammerl

    Mich wundert nur immer wieder die Naivität gestandener PolitikerInnen.

    Das Whatsapp sehr unsicher und leicht zu hacken ist, ist doch hoffentlich kein Geheimnis mehr.
    Mir als kleine Angestellte ist klar, dass ich mich über meine Vorgesetzten, wenn ich grad sauer bin, nur mündlich und mit Kollegen auslasse, denen ich vertraue. Niemals würde ich das schriftlich tun , weder auf Facebook noch auf Whatsapp.
    Schon aus moralischen Gründen, weil ein momentaner Ausbruch von Ärger ist oft flugs wieder weg, im Inet hält er sich ewig.

    Und, Beispiele dafür gab es ja genug, warum tappt man dann wieder in die Falle?

  5. Stefan Kohoutek

    Immerhin geben die veröffentlichten Chatprotokolle einen interessanten Einblick in die Gedankenwelt und Geisteshaltung der Politiker. So wissen wir, wie Leute wie Sebastian Kurz, HC Strache, Thomas Schmid, Wolfgang Sobotka oder Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner denken. Und ich denke, die veröffentlichten Inhalte sind ein gutes Spiegelbild der Gesellschaft. Da die Menschen auf der einen Seite dünnhäutig und wehleidig geworden sind, aber auf der anderen Seite gerne rüde austeilen, sind Dauerkonflikte vorprogrammiert. Korruption und Postenschacher scheinen allgemein üblich zu sein. Aber Hand aufs Herz: wie viele von uns würden in dieser Situation ebenfalls den Verlockungen nachgeben und die Vorteile der Korruption nehmen? Auch wenn wir einfachen Leute anders reden – ich denke, viele von uns würden in der gleichen Position den lukrativen Weg gehen und sich für gutes Geld kaufen lassen.

    Die Kommentare von Johanna Mikl-Leitner zeigen auch, wie viele ÖVP-Funktionäre über Leute der SPÖ denken. Nun wissen es die „Roten“ wenigstens schwarz auf weiß. Umgekehrt ist es genauso. Das zeigt, welch langen Schatten die Ereignisse des Jahres 1986 – Bundespräsidentenwahlkampf mit Schmutzkübelkampagne gegen Kurt Waldheim – geworfen haben. Die zuvor vernünftige Gesprächsbasis zwischen SPÖ und ÖVP ging verloren. Für Jörg Haider, Spitzenkandidat der FPÖ, den das Ganze sicher nicht kalt ließ, war das ein aufgelegter Elfer. Danach waren rot-schwarze Koalitionen (zumindest auf Bundesebene) nur noch widerwillige Zweckbündnisse, in denen es mehr Stillstand als Reformfortschritt gab. Die schlechte Stimmung zwischen vielen „Roten“ und „Schwarzen“ ist bis heute geblieben. Der damalige Kanzler Sinowatz hat sicher nicht gewusst, welch nachhaltige Folgen die Anti-Waldheim-Kampagne nach sich zog. Jedenfalls hat er Schlimmes damit angerichtet.

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