Die Ostregion Österreichs geht in eine Osterruhe. Da das Wort „Lockdown“ mittlerweile einen schlechten Ruf hat, versucht man es etwas beruhigender zu umschreiben. Letztlich ist eine typisch österreichische Lösung herausgekommen, der gebräuchliche Mittelweg zwischen Nix-Tun und Was-Tun. Nicht umsonst ist eine der häufigsten Redewendungen im Großraum Wien „Geh, kumm“. Soll man jetzt gehen oder kommen – fragen sich da die Außenstehenden, während wir Hiesigen ganz genau wissen, was bei diesem Spruch zu tun ist. Das Motto, das in unseren Breiten immer passt und niemals falsch ist: „Schau ma mal, dann seh’n wir schon!“
Vor wenigen Wochen wurde uns eingebläut, dass wir auf eine 7-Tages-Inzidenz von unter 50 Fällen pro 100.000 Menschen kommen müssen. Das wäre so eine kritische Marke. Das klang plausibel. Diesbezüglich war man sich beispielsweise auch mit Deutschland einig. Als man bemerkt hat, dass das nicht geht, wurde die kritische Marke in Österreich auf 100 gesetzt. Bald danach auf 200. Aber spätestens bei 300 müsse man tätig werden, wurde gemeldet. Als auch diese Marke erreicht wurde, wurde die Zahl 400 ermittelt, bei der es in einem Bezirk zu Maßnahmen kommen müsse. Eigentlich wurde angenommen, dass halt diese Zahl bei Erreichen einfach wieder nach oben geschraubt wird. Als dann wirklich, beispielsweise in Wiener Neustadt, Maßnahmen ergriffen wurden, breitete sich auch in anderen Bezirken (endlich) Unruhe aus. Mittlerweile übertrifft die Inzidenz des Bezirks Neunkirchen die des Bezirks Wiener Neustadt und die Zahlen im Bezirk Baden steigen besorgniserregend. Noch geht es dem Bezirk Mödling gut. Mit einer Inzidenz von über 273 liegen wir zwar mehr als das 5-fache über dem ursprünglichen Ziel, aber noch deutlich unter dem neuen. Doch die Welle kommt immer näher. Aber eigentlich ist ja nicht die Inzidenz das Problem, sondern die bereits vorhandene Überlastung der Spitäler, vor allem der Intensivabteilungen.
Aus meiner Sicht wurde viel zu spät gehandelt. Gegen den Rat der Experten wurde geglaubt, dass wir uns da schon irgendwie durchschummeln werden. Auch so ein bewährtes Motto, das in unseren Genen liegt. Als wir in Wiener Neudorf vor 14 Tagen begonnen haben, auch unsere Kindergarten- und Krabbelstubenkinder zu testen, weil da nichts Flächendeckendes „von oben“ kam, da bekam ich einige aufgeregte und böse Anrufe aus St. Pölten. Immer diese Alleingänge. Gut wars. Wir haben dadurch bis heute einige „positive“ Fälle zeitgerecht erkannt und konnten Schlimmeres verhindern, auch wenn die Schließung einer Kindergartengruppe notwendig war.
In der heutigen Zeit, Politiker zu sein, ist nicht einfach und vielleicht derzeit wirklich mehr Bürde als Würde. Das bekomme ich auch tagtäglich zu spüren. Aber es ist jetzt nicht die Zeit, auf Beliebtheitswerte oder Umfragedaten zu schauen. Es sollte politisch Verantwortlichen, egal in welcher Position und Ebene, klar sein, dass die jeweilige Opposition und die Hälfte der Bevölkerung sowieso kritisiert, egal ob man dieses oder das andere entscheidet. Im Nachhinein werden sowieso alle sagen, er/sie hätte damals anders – sprich: richtiger – entschieden. Heute weiß ich auch die gestrigen 6 Richtigen im Lotto. Schade, dass man nur gewinnt, wenn man diese im voraus errät. So wie heute alle wissen, auf welchen Impfstoff die Verantwortlichen vor einem halben Jahr hätten setzen sollen.
Mir ist schon klar, dass die nunmehrige Ostregion-Osterruhe ein Kompromiss ist. Ich ecke auch oft an, weil ich zumeist ein Gegner von Kompromissen bin. Wenn ich in die Schweiz auf Urlaub fahren möchte, meine Frau aber nach Frankreich, dann wäre wohl Italien der logische Kompromiss. Auch schön, aber dort wollte keiner von uns hin. Aber wenigstens hätte dann keiner von uns ganz gewonnen, aber auch kein ganz verloren, weil Italien liegt ja gleich neben Frankreich und auch neben der Schweiz.
Bei der jetzt verordneten Oster-Ruhe hat auch keiner verloren, wahrscheinlich aber auch keiner gewonnen. Der Gesundheitsminister wollte verständlicherweise strenge Maßnahmen, die Landeshauptleute verständlicherweise keinen Unmut in der Bevölkerung. Also wird ein Lockdown – pardon: eine Ruhe – verkündet, der/die in einer Woche beginnen wird. Naja – auch ein Lösungsansatz. Aber möglicherweise ein Kompromiss. Ein Lockdown sollte mindestens 14 Tage dauern, damit er wirklich sinnvoll ist und nachhaltig wirkt. Der Kompromiss: 6 Tage.
Die Schulen werden bis zum 9. April geschlossen. Bezüglich der anderen Kinderbetreuungseinrichtungen weiß ich noch nichts. Wäre aber ein Kompromiss: Schule zu, Kindergarten offen.
Wer mich kennt weiß, dass ich ein Gegner von halben Sachen bin. Entweder machen wir etwas „ganz“ oder „gar nicht“. Das ist auch ein Leitsatz meines politischen Wirkens als Bürgermeister. Aber: Ich gebe zu, dass ich auch – wie 98 % der Österreicher – nur zu den Halbinformierten gehöre. Aber wenn ein Lockdown (oder eine Ruhe) aus gesundheitlichen Gründen aufgrund der Zahlen absolut notwendig ist, dann ist er es mit Sicherheit eher heute oder morgen als am Gründonnerstag. Aber wie schon gesagt: Kompromisse sind nicht so ganz mein Ding.