Am Zustand und Wirken der österreichischen Bundesregierung wird deutlich, wie schwer die Zusammenarbeit von Persönlichkeiten ist, die völlig unterschiedliche Werte, völlig unterschiedliche Vorstellungen und völlig unterschiedliche Ansichten haben.
Wenn zwei Parteien völlig unterschiedliche Ansichten haben, aber trotzdem jedes Mal ein gemeinsames Ergebnis präsentieren wollen, dann geht das nur, wenn jeder nachgibt und man danach irgendeine gemeinsame Ansicht vertritt, mit der jeder gerade noch leben kann. Das nennt man dann hochtrabend: Kompromiss. Im Gegensatz zu vielen anderen Begriffen ist das Wort „Kompromiss“ enorm positiv besetzt. Ist jemand kompromissbereit, dann ist das etwas Positives. In dem Bewerbungsgespräch wird herausgearbeitet, ob der Proband „kompromissfähig“ ist oder nicht. Ist er es, dann ist das angeblich gut. Ich sehe das sehr differenziert.
Im politischen Alltag halte ich von Kompromissen relativ wenig. Ich glaube auch, dass viele die geglaubte Notwendigkeit zur Kompromissbereitschaft mit Dialogfähigkeit und Teamorientiertheit verwechseln – zwei wirklich wichtige Begriffe. Das Dilemma der österreichischen Bundesregierung hat meinem Dafürhalten nach viel damit zu tun, dass bei jedem Thema tagtäglich Kompromisse gesucht werden, in dem sich alle wiederfinden, mit denen alle gerade noch leben können, die man gerade noch seiner Klientel glaubt „verkaufen“ zu können, bei denen man sich gerade noch soweit verbiegt, dass man hofft, nicht umzufallen. Präsentiert wird dies dann oft als „Win-Win-Situation“, bei der sich niemand als Gewinner fühlt. In Wahrheit ist man mit Kompromissen von seinen ursprünglichen Ansichten, von seinen ursprünglichen Werten und seinen eigentlichen Vorstellungen meilenwert entfernt. Das führt zu Unstimmigkeiten in den eigenen Reihen, in den anderen sowieso. Das führt zu Unzufriedenheiten und zu einem Zustand, den wir jetzt gerade haben. Von der Bildungspolitik über die Wirtschaftspolitik bis hin zur Flüchtlingsfrage.
Mir kommt das so vor, als wenn meine Frau gerne nach Italien in den Urlaub fahren möchte, ich aber nach Deutschland. Als Kompromiss einigen wir uns nach heftigen Diskussionen irgendwie auf die Mitte, auf: Ungarn. Dort wollten wir zwar beide nicht hin, aber Hauptsache wir fahren fort und wir zeigen der Nachbarschaft, dass wir uns auf einen Urlaub geeinigt haben. In Wirklichkeit: Ein fauler Kompromiss. Und auch wenn Ungarn ein schönes Land ist, wollten wir beide eigentlich etwas ganz anderes.
SPÖ und ÖVP sind derzeit so unterschiedlich aufgestellt, haben derzeit so unterschiedliche Vorstellungen, auch so unterschiedliche Zwänge (Stichwort: Gewerkschaft, Stichwort: Bünde), dass bei nahezu allen Themen klar ist, dass für eine gemeinsame Position gestritten und Kompromisse gesucht werden (müssen). Dass die Wähler/-innen das Gefühl haben müssen, dass da nichts weitergeht, dass viele Ergebnisse schwammig und die Kompromisse mehr als nur faul sind, liegt für mich auf der Hand. Das ärgert viele und immer mehr auch die eigene Klientel.
Die Österreicher haben sich von dieser Kompromisspolitik der vormaligen „großen Koalition“ sowieso viel zu lange beeindrucken lassen. Viel zu lange wurde uns vorgegaukelt, dass nur die früher „großen“ und „unterschiedlichen“ Parteien die großen und unterschiedlichen Probleme lösen können. Völliger Quatsch! Spätestens seit der Bundespräsidentenwahl 2016 ist klar, dass sich die Wähler/-innen diese Politik nicht mehr gefallen lassen. In so einer Situation braucht sich die Opposition nur zurückzulehnen, abzuwarten und bei der nächsten Wahl gehörig an Stimmen zuzulegen.
Die in den nächsten Wochen mit Sicherheit heraufbeschworenen Ängste vor einem einerseits rechten und andererseits linken Bundespräsidenten werden dem/der durchschnittlichen mündigen Wähler/-in angesichts der Ist-Situation mittlerweile mehrheitlich „wurscht“ sein.
Wie wir alle hören, soll aber alles jetzt anders werden. Die Regierungsparteien haben angeblich begriffen und werden jetzt alles anders machen. Ich befürchte, sie suchen schon wieder nach Kompromissen, um rasch irgendwelche Ergebnisse präsentieren zu können. Und: In ein paar Monaten werden sie sich wundern, dass die Umfrageergebnisse nicht besser geworden sind.
Aber spätestens 2018 wenn die FPÖ bei der nächsten Nationalratswahl vielleicht tatsächlich stimmenstärkste Gruppierung geworden sein wird oder die GRÜNEN möglicherweise viel stärker als bisher, werden diese Parteien Kompromisse eingehen müssen, wenn sie einen Regierungspartner suchen. Das gehört zur großen Politik dazu. Das sind die Spielregeln und gleichzeitig das Dilemma und das Problem.





