Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch schon so ergangen ist, dass Sie noch stundenlang nach einem Ereignis herumsitzen und sich fragen: Was war das jetzt eigentlich? Mir geht es derzeit so. Wäre ich eine Giraffe, dann wäre das obige Bild jetzt ein Selbstporträt.
Seit über einem Jahr herrscht in Wiener Neudorf politische Ruhe. Dass das nicht so bleiben wird, war mir klar, denn politische Ruhe ist nach außen hin immer in erster Linie für die Bürgermeister-Fraktion gut. Dass sich die Opposition da etwas einfallen lassen muss, um auf sich aufmerksam zu machen, ist natürlich verständlich.
Der Einfall war jener: Verlangen wir (SPÖ, FPÖ und NEOS) eine außerordentliche Gemeinderatssitzung. Wenn das mehr als ein Drittel der Gemeinderäte wünschen, dann muss ein Bürgermeister gemäß NÖ Gemeindeordnung dazu einladen. Wir haben zwar in knapp zwei Wochen sowieso eine vereinbarte Sitzung. Aber macht ja nichts. Also trafen wir uns gestern (Mittwoch, 7. April 19.00 Uhr) zu dieser verlangten Sitzung zusätzlich. Eigentlich sollten im harten Lockdown keine nicht unbedingt notwendigen Sitzungen stattfinden – aber sei’s drum. Wir haben direkt vor der außerordentlichen Sitzung eine außerordentliche Testung angeboten. Die Sicherheit war also umfangreich gegeben.
Während der Sitzung wurden dann Wünsche in Form von Anträgen gestellt, die seit Monaten erledigt sind. Die Gemeinde möge dem Land mitteilen, dass wir – falls gewünscht und erforderlich – eine Impfstraße im Freizeitzentrum einrichten könnten. Das hat die Gemeinde allerdings bereits vor Monaten getan. Der nächste Wunsch: Der Bürgermeister möge die Ärzte fragen, ob sie nicht statt in den jeweiligen Ordinationen in den Impfstraßen impfen wollen. Darüber haben wir aber bereits vor Monaten beraten. Die Ärzte haben sich aus gutem Grund für die Ordination entschieden. Warum? Das Land NÖ möchte Impfstraßen mit durchgehenden Öffnungszeiten bzw. die Impfzeiten selbst bestimmen. Das können die Ärzte aber nicht leisten, weil sie nicht rund um die Uhr in einer Impfstraße tätig sein oder immer während der normalen Ordinationszeiten impfen können, denn sonst müssten sie ihre Ordinationen für diese Zeiträume schließen – und die Ärzte fühlen sich (wenig verwunderlich) ihren mehrheitlich Wiener Neudorfer Patienten verpflichtet. Im Impfstraßen oder Impfzentren werden bekanntlich nicht nur Ortsansässige geimpft, sondern großteils Auswärtige. Weiterer Wunsch: Die Gemeinde möge sich um eine angemessene Entschädigung für impfende Ärzte kümmern. Das ist aber seit Monaten durch Verhandlungen der Ärztekammer mit den zuständigen Stellen längst erledigt.
Der nächste Einfall: Die Gemeinde möge sich darum kümmern, dass statt der Schnelltests auch „Nasenbohrer-Selbsttests unter Aufsicht“ angeboten werden können. Das ist aber bereits landesweit längst erledigt und wird, wenn die Lieferungen eintreffen, auf die jeweiligen Teststraßen demnächst ausgerollt.
Die nächste Idee: Die Gemeinde solle sich dazu verwenden, dass in den Schnelltest-Straßen auch Gurgeltests angeboten werden. Das geht aber deshalb am Sinn vorbei, weil bei Schnelltests auch das Ergebnis – wie der Name schon sagt – schnell vorliegen muss. Das Ergebnis eines Gurgeltests wird in eigenen Labors ermittelt und dauert bis zu 48 Stunden, im allerbesten Fall 24 Stunden. Die Menschen, die sich testen lassen, brauchen das Ergebnis aber sehr rasch, um zu wissen, ob sie arbeiten gehen können, einen Besuch machen können, zum Friseur gehen können oder sonst was tun können. In Hinkunft wird es wohl auch für Handel und Gastronomie Eintrittstests geben (müssen). Es ist eher sehr unwahrscheinlich, dass jemand die Zeit hat, auf das Testergebnis bis zu 2 Tage zu warten, um in ein Geschäft oder Essen zu gehen.
Es entwickelte sich eine über 2-Stunden-Debatte. Eigentlich war nach 10 Minuten alles gesagt, aber nicht von jeden. Die Anträge wurden letztendlich erwartungsgemäß abgelehnt, vor allem weil die Inhalte großteils bereits seit Monaten erledigt sind.
Kritikpunkt war auch, dass in Wiener Neudorf die Gemeinderäte nicht vor der Bevölkerung (etwa durch diesen Bürgermeister-Blog) informiert werden. Bis jetzt nahm ich – offenbar fälschlicherweise – an, dass sich alle Gemeinderäte auch als Teil der Bevölkerung verstehen. Da ich keinen Sinn darin sehe, dass ich einen Beitrag oder eine Information über Gemeindemedien ein paar Stunden verzögere, nur damit Gemeinderäte den Text exklusiv vorher lesen können, bitte ich um Verständnis, dass ich dem nicht nachkommen werde.
Es ist auch so, dass die Bekämpfung einer Pandemie – um bei diesem Thema zu bleiben – nicht von den Gemeinden aus geregelt werden, sondern zentral. In Österreich durch das Gesundheitsministerium in Zusammenarbeit mit den Landesregierungen. Ich nahm an, dass das allseits bekannt ist. Die Gemeinden sind, wenn sie sich dazu bereit erklären, nur Erfüllungsgehilfen und keine Entscheidungsträger. Und wir sind in Wiener Neudorf seit vielen Monaten dazu bereit und halten uns für gute – nein: sehr gute – Erfüllungsgehilfen.
Ich interpretiere jetzt ein wenig, auch um die gestrige Gemeinderatssitzung (für mich) verständlich zu machen. Es gibt einen Oppositionszusammenschluss im Nationalrat von SPÖ, FPÖ und NEOS. Teilweise kann ich die Kritik am Impfmanagement der Bundesregierung auch nachvollziehen. Ob es aber eine andere Regierung besser hinbekommen hätte, halte ich allerdings für Spekulation. Im Nachhinein Kritisieren ist natürlich immer leichter als im Vorhinein Entscheiden. Und im Nachhinein haben es immer alle immer schon besser gewusst und hätten es mit Sicherheit besser macht. Jaja – eh klar. Vielleicht gehört es zur Taktik, dass dort, wo es möglich ist, dieser Oppositionszusammenschluss auch auf anderen Ebenen gelebt werden soll. In Wiener Neudorf ist es möglich, weil sich diese drei Gruppierungen (SPÖ, FPÖ, NEOS) irgendwie als Opposition verstehen, auch wenn die SPÖ mit 4 Gemeindevorständen in der Gemeinderegierung sitzt und das 2. Vizebürgermeisteramt ausübt.
Auf Landesebene ist das wieder nicht möglich, weil blöder Weise die für die Gesundheit (und damit auch für die Test- und Impfstrategie im ganzen Bundesland – damit auch in Wiener Neudorf) zuständige und mitverantwortliche Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig der SPÖ angehört – zu der ich im übrigen ein gutes Einvernehmen habe.
Sodala! Fertig! Jetzt weiß ich nicht. Soll ich nun diesen Blogbeitrag zuerst den Gemeinderäten schicken – und erst zu Mittag für alle anderen freischalten? Ich verstehe es aber noch immer nicht, was das für einen Sinn haben sollte und warum ich das tun sollte. Manchmal sind halt Bürgermeister wirklich begriffstutzig, unbelehrbar und unflexibel – deshalb drücke ich jetzt einfach auf den „Veröffentlichen-Balken“.