Vor 20 Jahren bat man mich einen Essay über den Philosophen Kant anlässlich seines 200. Todestages zu schreiben. Die intensive Lektüre von Kants Werken war in meiner Jugend einer der Gründe warum ich Philosophie und Germanistik studieren wollte. Glücklicherweise durchkreuzte eine sehr frühe, eigentlich ungewollte Familienplanung meine damalige Lebensplanung. Wer weiß, wie mein Leben sonst verlaufen wäre, was ich versäumt oder nie getan hätte. Mit Literatur und Philosphie kann man sich sein ganzes Leben beschäftigen, wenn man das möchte. Es ist kein Nachteil, aber nicht unbedingt erforderlich, dies einige Semester an einer Universität zu tun. So ist mein Leben bislang zu meiner vollsten Zufriedenheit verlaufen und Kant hätte dies wohl als grundvernünftig bezeichnet, auch wenn er sich mit der reinen und praktischen Vernunft kritisch auseinandergesetzt hat.
Gerade zu dem Anlass des Geburtstages einer der größten Denker der Neuzeit (für viele ist er der größte Denker) ist es auch rein vernünftig, weil kräfte- und zeitsparend, dass ich mir meinen heutigen Blogbeitrag leicht mache und einfach den damaligen Essay des Jahres 2004 verwende, den ich glücklicherweise abgespeichert habe – was viele wohl als grundvernünftig einstufen würden, aber (wer mich kennt, wird heftig nicken) bei meinen EDV-Kenntnissen auch sehr viel mit Zufall zu tun hat.
Wenn Kant mit einem seiner bekanntesten Sätze, nämlich dass nur der wirklich tot ist, der vergessen wird, recht hat, dann hat Emanuel (Immanuel) Kant wohl noch ein sehr langes Leben vor sich.
Emanuel Kant (22. April 1724 – 12. Februar 1804)
Kritisch bemerkt, war es der reine Zufall und keinesfalls ein elterliches Herantasten an die reine Vernunft, der über den Vornamen des kleinen Kant entscheiden sollte. Der Namenspatron seines Geburtstages möge zum lebenslangen Rufnamen ihres Sohnes werden, beschlossen Johann und Anna Kant. Gemäß dem damals gültigen preußischen Kalender fiel die Kugel des Geburtsroulettes am 22. April auf den Namen Emanuel, was aufgrund anderer Möglichkeiten noch als Glücksfall zu umschreiben ist, denn wäre Kant im heutigen Wien unter denselben Beschlüssen seiner Eltern geboren, hieße der arme Knabe dann nicht anders als nach dem mittelalterlichen Brauweilerschen wundertätigen Abt Wolfhelm oder dem Papst der frühen christlichen Tage, Soterus, dem wir im übrigen zu verdanken haben, dass die Ehe im kirchlichen Sinne nur dann gültig ist, wenn sie von einem Priester gutgeheißen und abgesegnet wurde. So kennt die Welt einen der bedeutendsten deutschsprachigen Denker unter dem Namen Immanuel, zu dem sich der kritische Junge selbst umgetauft hatte, und nicht unter Wolfhelm Soterus Kant. Bevor die Pedanterie mit Kant den bedeutendsten ihrer Jünger bekam und die Uhrzeit in Königsberg durch die täglichen Rituale des Philosophen eine nahezu menschliche Bedeutung bekam, lebte Immanuel das ausschweifende Leben eines genusssüchtigen Bonvivants. In jedem Falle hätte für Immanuel Kant ausgereicht, wenn die Erde eine kleine Scheibe gewesen wäre und nur aus Königsberg bestanden hätte, denn in seinen achtzig Diesseitsjahren ist er bis auf wenige Ausnahmen in seiner Jugend seiner Heimatstadt nie untreu geworden und hat keine Nacht auswärts verbracht und die gebräuchliche Bezeichnung von der Kleinheit der Welt selbst gelebt. Kant war ein begnadeter Zocker und verdiente sein Taschengeld beim Kartenspiel. Billard spielte er, als hätte er es erfunden und nichts weiter in seiner Jugend getan, als mit dem Queue nach Elfenbeinkugeln zu zielen und verdiente damit in wenigen Tagen mehr als sein väterlicher Riemermeister in einem ganzen Monat.
Eine Berufung zum Dozent einer Universität ist heutzutage mit einem sorgenfreien Auskommen verbunden und nicht auszudenken, wie viele als Hausierer auf den Marktplätzen einem Nebenberuf nachgehen müssten, wären die Anforderungen und die finanzielle Situation genauso wie in kantischen Zeiten. Da früher ein Dozent nicht vom Staat oder einer Universität bezahlt wurde, sondern auf direktem Wege von seinen seinen Vortrag hörenden Studenten, kam es auf die Güte, den Inhalt und den Beifall der besuchten Referate an. Da Kant in den luxuriösen Kreisen der Königsberger High Society an Eleganz der Kleidung und Wahl der gehobenen Restaurants problemlos mithalten konnte, scheinen seine Lehren bei seinen Schülern ein Interesse entdeckt zu haben und angekommen zu sein.
Danke für dieses kurzweilige Essay über Kant!
Über einen Menschen, der vor mehr als 200 Jahren verstorben ist, in dieser (modernen und zeitweise sogar flapsigen) Sprache zu schreiben, finde ich bemerkenswert!
Bis jetzt kannte ich von Kant nur das, was vom Schulwissen hängen geblieben ist, und das sind nur ein paar Aussagen. Nach dem Lesen dieses Essays hat der Mensch Immanuel plötzlich Konturen bekommen und wird mir wahrscheinlich ob seiner Verschrobenheiten lange im Gedächtnis bleiben.
Brigitte Kerschhofer