Mein abgesagter Boykott der Fußball-WM

51. Spielminute: Das „umstrittene“, aber reguläre Siegestor der Japaner gegen Spanien. Ich war live dabei.

Das ist wieder so ein Blog-Beitrag, bei dem sich viele denken werden, wen das überhaupt – außer mich – interessiert.

Eigentlich habe ich mir, wie sicherlich viele, vorgenommen, die Fußball-WM in Katar zu boykottieren. Nicht, weil Österreich bereits in der Qualifikation ausgeschieden ist. Daran habe ich mich in den letzten Jahrzehnten schon gewöhnt. Obwohl es dieses Mal besonders schade ist, weil wir eigentlich ein konkurrenzfähiges Team hätten. Auch nicht, weil ich der Meinung bin, dass ein arabisches Land nicht Austragungsort sein darf. Vielleicht, weil die Jahreszeit dafür (zumindest für uns in unseren Breiten) eher ungeeignet erscheint – die Adventszeit sowieso.

Auch nicht, weil angeblich Millionen an Schmiergeldern geflossen sein sollen. Wenn das ein Boykott-Argument wäre, dann hätte ich wahrscheinlich auch die letzten Fußball-WMs und Olympischen Spiele boykottieren müssen. Möglicherweise ist das Zahlen von Schmiergeldern eine Grundvoraussetzung für den Zuschlag für ein Großereignis. Ich weiß es nicht. Angeblich wurde ja auch früher nicht derjenige römisch-deutscher König oder Kaiser, der dafür am besten geeignet war, sondern der, der den Kurfürsten am meisten versprochen hat. Ich war nicht dabei, aber manche Historiker behaupten das.

Aber natürlich gibt es genug gute Gründe, diese Fußball-WM zu boykottieren. So sollen etwa 6.500 Gastarbeiter bei den inferioren Bedingungen auf den Baustellen durch zu hohe Temperaturen, überlange Arbeitszeiten, geringe Pausen, ungenügende Sicherheit und katastrophale Unterkünfte ums Leben gekommen sein. Die Arbeiter sollen wie Sklaven gehalten und extrem niedrig bezahlt worden sein. Dass das überreiche Land, aber auch die FIFA, den Ruf nach einem ausreichend dotierten Entschädigungsfonds für getötete und verletzte Arbeiter zurückgewiesen hat, spricht für sich. Die Begriffe „Menschenrechte“ und „Meinungsfreiheit“ dürften in Katar, wie in den meisten undemokratisch geführten Ländern, sowieso unbekannte Fremdwörter sein. Dass in Katar Homosexualität als Geisteskrankheit eingestuft wird, deutet eher darauf hin, dass dieses Land irgendwo im Mittelalter hängen geblieben ist. Und eine Fußball-WM sollte in der Gegenwart und nicht im Mittelalter stattfinden. Wenn man die Meinung vertritt, dass eine Frau kein Mensch zweiter Klasse ist, dann müsste man allerdings einige islamisch geprägte Länder – und einige darüber hinaus – boykottieren.

Aus meinem vorgenommenen Boykott ist übrigens nichts geworden. Immer, wenn es meine Zeit zuließ, war ich bislang live dabei. Die heutige Technik erlaubt es, dass man sogar bei Besprechungen oder Sitzungen ein Match über das IPhone mitverfolgen kann. Mittlerweile habe ich diesbezüglich sogar eine gewisse Fertigkeit entwickelt, sodass das von anderen unbemerkt geschieht. Hoffe ich zumindest.

Ein wenig bin ich über die jetzige Scheinheiligkeit der Westlichen Welt verwundert. Der Aufschrei hätte wenn, dann vor 12 Jahren bei der Vergabe an Katar erfolgen müssen. Dass es in diesem Land heiß ist, dass Gastarbeiter ausgebeutet werden, dass Menschenrechte nichts gelten, dass es dort keine Meinungsfreiheit gibt und dass man dort als Mensch Pech hat, wenn man als Frau geboren wird, das ist ja nicht neu. Und wenn irgendjemand wirklich geglaubt hat, durch die Vergabe eines Fußballturniers, würde sich dort irgendetwas ändern und verbessern, dann glaubt dieser irgendjemand auch an den Osterhasen. Das wäre ja genauso einfältig, wie manche Frauen glauben, dass die sie schlagenden Männer schon irgendwann damit aufhören.

So habe ich für mich beschlossen, kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich mir beispielsweise „Marokko gegen Spanien“ anschaue. Ich habe für mich die Frage: Nützt es einem Gastarbeiter in Doha, wenn ich mir in Wiener Neudorf „Marokko gegen Spanien“ nicht anschaue? mit „Nein“ beantwortet. Ich hätte mich nachträglich in jedem Fall geärgert, wenn ich nicht live – vor allem beim Elfmeterschießen – dabei gewesen wäre. Obwohl das meine Frau, mit der ich mich an sich gut verstehe, nicht versteht, denn für sie ist es ein und dasselbe, sich das Spiel 90 Minuten und mehr anzusehen oder das Ergebnis am nächsten Tag in einer Minute in der Zeitung zu lesen. So entscheidet sie sich für gewöhnlich für die Zeitung, ich für die 90 Minuten und mehr.

Dass Österreich nicht dabei ist, ist für mich übrigens sogar ein Glück. Denn ich hätte beim Finale unseres Teams gegen Brasilien nicht gewusst, zu wem ich halten soll. So weiß ich es.