Zwei Männer, zwei Lyriker, haben mich so richtig und wirklich in die österreichische Sprache eingeführt und mich das deutschsprachige Wort gelehrt. Nicht nur das Wort, sondern die Wörter, sondern das Spiel mit den Wörtern, sondern die Logik des Satzbaus, sondern die Freude darüber etwas zu schreiben, was und wie noch niemals etwas geschrieben wurde.
Die Literatur des René Rilke, der sich später Rainer nannte, ist für mich sowieso der ultimative Orgasmus der deutschsprachigen Lyrik, dicht gefolgt von Paul Antschel, der sich später Celan nannte. Die Lyrik an sich ist für mich die eigentliche Kunst der Literatur und die eigentliche Genialität der Sprache.
Der Geburtstag Rilkes war vor 145 Jahren der 4. Dezember, der Gedenktag der Heiligen Barbara von Nikomedien. So stand für mich immer fest, dass, würde mein erstes Kind ein Sohn werden, er Rainer heißen muss. Und eine Tochter: Barbara. Es wurde eine Tochter und meine Frau atmete durch und stimmte zu.
Am 23. November vor nunmehr genau 100 Jahren wurde Celan geboren. Unser zweites Kind: Abermals eine Tochter. Zum Glück. Denn „Paul“ oder die Tagesheiligen „Clemens“ oder „Kolumban“ hätte ich wohl nur schwer bei Gaby durchgebracht.
Ich habe jahrelang die Gedichte von Rilke und Celan wieder und wieder gelesen, sie in alle Einzelheiten zerrissen, nachgeschrieben, umgeschrieben und mir jahrelange Skizzen gemacht, warum die beiden die Worte so zusammengefügt haben, wie sie sie zusammengefügt haben. Heute wird von Schreibern, aber auch den Lektoren oder Verlagen Lyrik zumeist als untereinandergeschriebene Prosa missverstanden. Aber gut, das ist die Entwicklung.
Schon sehr bald in meinem Leben habe ich für mich die Erfahrung gemacht, dass ich zwei ganz gute Begabungen habe, die Sprache und die Mathematik. Damit bin ich bislang ganz gut durch die Jahre gekommen. Dass ich gerade in den heute so gefragten Bereichen der Technik und der digitalen Welt bestenfalls Vorschulniveau habe, lässt manchmal meine Umgebung spürbar verzweifeln. Aber damit muss diese leben.
In diesem Sinne: Alles, alles Gute zum Hunderter, Paul Antschel, und danke für alles.
Es ist nicht leicht ein Kommentar zu formulieren, das nur annähernd deiner Sprachkunst nahe kommt. Ich werde wohl Paul Celan nach lesen. Danke für deine Anregung!
Frage: Wie willst Du genannt werden? (Janosch ist literarisch schon vergeben…)
Wenn ich nur eine/n dazu gebracht habe, Paul Celan (wieder) zu lesen, dann bin ich mit diesem Blogbeitrag mehr als zufrieden. Wir haben uns ja beide vor Jahrzehnten intensiv mit der Literatur beschäftigt. Obdach u.a. waren ja doch Meilensteine in unserer Entwicklung.
Und: Tja, Janosch ist schon besetzt. Ich habe bei meinen Büchern einfach meinen zweiten Vornamen Johann auf Jan umformuliert. Ein wenig einfallslos – ich weiß.
Lieber Herr Janschka!
Diese beiden Gedichte, schon in der Schule kennengelernt, begleiten mich seither durch mein Leben!
Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris
∼ Herbsttag ∼
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Rainer Maria Rilke (Paris 1902)
Und noch viele andere!
Lieber Wiener Neudorfer, da begleiten Sie – aus meiner Sicht – zwei der allerbesten Gedichte von Rilke und damit der deutschsprachigen Lyrik. Sie gehören mit Sicherheit zu den vollendetsten und bestgelungenen.
Ich habe mir erlaubt „den Panther“ im Jahr 1983 nachzudichten und in meinem Buch „Kranker Baum – Welker Friede“, erschienen 1985 zu veröffentlichen. Es war die Endzeit des Kalten Krieges, aber effektive Kriege im Sudan, im Libanon, in Sri Lanka, um die Falklandinseln, in die viele junge Männer bewusst in den Tod geschickt wurden und irgendwie war auch der Jugoslawien-Konflikt schon vorhersehbar.
Der Soldat 1990
(frei nach Rilke)
Sein Blick ist vom Niedergehn der Bomben
so leer geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es nichts als Katakomben
gäbe und auf der Erde keine Welt.
Sein kranker Gang verblutend schwacher Schritte,
der ihn schleppend nun zu Ende geht,
ist wie die Flucht der Angst um eine Bitte,
die den Tod nur noch um Sanftheit fleht.
Langsam senkt sich der Vorhang der Pupille,
dann tritt ein allerletzter Schmerz hervor,
verneigt sich schamhaft in die Totenstille –
ergreift das Seil und steigt empor.
Lieber Herr Janschka!
Was die Welt für Wege geht!
Das ich über Umwegen jetzt dieses wunderbare, stille, traurige Gedicht finden durfte!
Ist das Buch noch käuflich zu erwerben?
Ein Dichter als Bürgermeister!
Was für eine Fügung.
Vielen Dank!
Buch ausverkauft. Und da ich ein besonders eitler Mensch bin und nicht von der Literatur leben muss und will, habe ich zweite (und darüber hinausgehende) Auflagen untersagt. Das Buch (zu jedem Gedicht gab es eine Zeichnung eines Malers) war eine der Hauptattraktionen der damaligen Leipziger und Frankfurter Buchmesse. Worauf ich besonders stolz bin, ist, dass ein Gedicht, das sich mit der Problematik von Atomkraftwerken auseinandersetzt, in alle Sprachen übersetzt wurde, in denen damals Atomkraftwerke standen – und wahrscheinlich heute noch stehen.
Schade!
„Dass ich gerade in den heute so gefragten Bereichen der Technik und der digitalen Welt bestenfalls Vorschulniveau habe, lässt manchmal meine Umgebung spürbar verzweifeln. Aber damit muss diese leben.“
🙂 Wäre unheimlich, wenn Sie in diesen Themen auch noch Experte wäre.
Schön, wenn politische Verantwortungsträger reflektiert die eigenen Stärken und Schwächen sehen und diese offen aussprechen. Mein Wunsch an das heurige Christkind: 1. Möge dies auf allen politischen Ebenen und EntscheidungsträgerInnen vermehrt Einzug halten. 2. Viel Geduld an Ihre Umgebung :-))))