Ein demokratisches Gedankenexperiment

Das griechische Volk hat also mit deutlicher Mehrheit gegen das geforderte Sparprogramm gestimmt. Das ist an sich in Ordnung. Wenn man eine Frage stellt, die mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten ist, dann gibt es für das eine oder andere eine Mehrheit.

Was passiert, wenn jetzt in irgendeinem EU-Land eine Volksabstimmung stattfindet, mit der Frage: „Sollen wir Griechenland weiter finanziell helfen oder nicht?“ Es gibt Parteien, die könnten die Frage sicherlich auch populistischer formulieren: „Sollen wir unser Geld weiterhin nach Griechenland schicken oder sollen wir unser Geld nicht für unsere Pensionisten (oder: unsere Kinder, oder: unsere Bildung, oder: für eine ordentliche Steuersenkung, oder: ??? was auch immer) verwenden?“ Das Ergebnis wäre voraussehbar. Und was macht dann Griechenland mit dem gestrigen Ergebnis? Welcher Volksentscheid ist dann wichtiger, entscheidender?

Das irgendeine EU-Land könnte auch die Frage stellen: „Sollen wir das Abstimmungsergebnis des griechischen Volkes akzeptieren oder nicht?“ Das Ergebnis wäre spannend. Gehen wir kurz davon aus, dass das Volk des irgendeinen EU-Landes zum Ergebnis kommt: Nein, wir akzeptieren das Abstimmungsergebnis nicht. Dann könnte wiederum die griechische Regierung die Frage stellen, ob das griechische Volk das Abstimmungsergebnis des irgendeinen EU-Landes anerkennt oder nicht. Wir könnten dann die verschiedenen Völker solange fragend aufeinander loslassen, bis endlich die Realität Tatsachen schafft.

Vielleicht ist das auch die Taktik, die derzeit verfolgt wird.

Kein Fachmann weiß – oder sagt – was passiert, wenn Griechenland wieder auf eine andere Währung umsteigt bzw. umsteigen muss. Kein Fachmann weiß – oder sagt – ob ein weiteres Hilfspaket sinnvoll ist oder nicht. Nicht ganz richtig: Die einen Fachleute wissen oder sagen das eine, die anderen das genaue Gegenteil. Und wenn man Diskussionen bei uns am Stammtisch verfolgt, dann weiß sowieso jeder, was eigentlich getan werden müsste: „Haut sas ausse, de Griechen!“, „Die Sparpolitik von der Merkel ist schuld daran!“, „Keiner muss dort unten Steuern zahlen“, „Ich habs ja immer g’wusst!“, „Weil wir so viel Geld nach da unten überweisen müssen, wird bei uns alles teurer“. Etc.

Das wirklich Schlimme ist, dass jetzt ganz sicher niemand wirklich weiß, wie es weitergehen soll und weitergehen wird. Ein Hart-Bleiben der EU-Verantwortlichen würde bedeuten, ein ganzes Land fallen zu lassen. Ein Nachgeben der EU-Verantwortlichen ist ein Zeichen an alle anderen Länder, einfach das Volk befragen zu lassen, wenn man mit etwas nicht einverstanden ist und dann bekommt man, was man haben will.

Ja, die Demokratie ist in Griechenland erfunden worden und damit die Mitbestimmung des Volkes. Und hat sich durchgesetzt – nicht überall, aber doch. Das gestrige Ergebnis in Griechenland ist für mich ein Hilfeschrei, oder auch der Versuch andere Länder oder andere Regierungschefs in eine Geiselhaft (verzeihen Sie mir den Ausdruck) zu nehmen – demokratisch legitimiert. Das allerdings geht mir demokratiepolitisch etwas zu weit! 

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