Was tun mit den Flüchtlingen?

 

Es gibt derzeit in Wiener Neudorf zwei Themen, die kreuz und quer diskutiert werden. Das erste Thema betrifft das Schicksal von Vanessa Sahinovic. Diesbezüglich erhalte ich viele Nachrichten mit der Frage wie geholfen werden kann. Hier ersuche ich noch um ein wenig Geduld. Ich bin mit der Familie Sahinovic in Kontakt. Ich wurde gebeten, die Gespräche mit dem Olympischen Komitee, mit Aserbaidschan, mit dem Schwimmverband und anderen Organisationen abzuwarten und erhalte Bescheid, wann und wie es weitergehen kann.

Das zweite „große“ Diskussionsthema betrifft die Flüchtlinge. Bei diesem Thema erhalte ich äußert kontroversielle Mitteilungen. Die Bandbreite geht von „so viele wie möglich nach Wiener Neudorf holen, egal wohin“ bis „Bitte lassen Sie nicht zu, dass Flüchtlinge nach Wiener Neudorf kommen.“

Dieses Thema beschäftigt derzeit die Politik in allen Hierarchieebenen und ich behaupte, dass derzeit niemand eine wirkliche Antwort und eine Lösung für dieses brennende Thema hat, weder in Europa, noch in Österreich, noch in einem Bundesland, noch in einem Bezirk, noch in einer Gemeinde. Ansonsten würde es Zustände wie z.B. in Traiskirchen nicht geben. Wenn Sie sich die Weltnachrichten ansehen, dann haben aber viele Staaten leider ihr Traiskirchen.

Ich bin sehr dafür, dass es hier eine gemeinsame und abgesprochene Vorgehensweise – zumindest in Österreich gibt. An dieser wird gearbeitet, Über diese wird diskutiert. Und so weit es meine Kompetenz als Dorfbürgermeister zulässt beteilige ich mich auch an diesem Prozess.

Vorweg sind jetzt einmal das Innenministerium und die Landesregierungen gefragt. Dort muss eine Richtung festgelegt werden. Wenn ich höre, dass durchschnittlich 1.600 Flüchtlinge pro Woche derzeit in Österreich um Asyl ansuchen, dann sind das knapp 90.000 pro Jahr, falls die Werte so weitergehen wie bisher. Und das wird eher der Fall sein, denn niemand wird annehmen, dass in Syrien und Umgebung demnächst wieder Friede herrschen wird. Also werden wir diese Asylsuchenden nicht zurückweisen. Wenn diese 90.000 Asylanten, die ja auch teilweise alleine kommen, die Familien nachholen, dann sprechen wir wahrscheinlich mittelfristig von knapp 250.000 Asylanten pro Jahr, Fachleute sogar von über 300.000.

Ich denke, dass bei der Bewältigung dieses Themas nicht irgendeine politische Weltanschauung oder das Schielen nach möglichen damit verbundenen Wählerstromsituationen im Vordergrund stehen darf, sondern unsere Werte nach Solidarität und Menschlichkeit. Trotzdem muss neben all diesem auch die Machbarkeit stehen. Politische Entscheidungen sollten nicht nur für den Moment ausschlaggebend sein und nicht nur als Schlagzeile in irgendeiner Zeitung dienen, sondern politische Entscheidungen sollen vor allem nachhaltig richtig sein.

Was heißt das für Wiener Neudorf? Wenn ich die Ziffer 250.000 durch die 2.354 Gemeinden dividiere, dann komme ich auf knapp 100 Asylanten pro Gemeinde. Wenn ich den Gesamtbevölkerungsschlüssel hernehme (also ca. 3 %), dann komme ich in Wiener Neudorf auf knapp 250 bis 270 Asylanten.

Persönlich glaube ich jedoch, dass dieses Thema nicht durch eine mathematische Formel lösbar sein wird. Dazu braucht es Gebäude, die auch mittelfristig zur Verfügung stehen und die vor allem auch geeignet sind. Derartige Gebäude, wie Kasernen etc., stehen für gewöhnlich im Eigentum des Bundes oder eines Landes. Also wird sich der Fokus eher auf diese Gemeinden richten (müssen). Wiener Neudorf hat kein derartiges zur Verfügung stehendes Gebäude. Was aber nicht heißen kann und darf, dass wir uns jetzt nur deswegen bequem aus der Diskussion heraushalten.

Was ich ganz sicher nicht tun werde, ist, dem Innenministerium anzubieten, dass wir Plätze (Alter Sportplatz, Rathauspark, Klosterpark …) haben, wo neue Zeltstädte oder Containerdörfer entstehen könnten. Ich werde – bitte um Verständnis – auch die Ideen, anderweitige Räumlichkeiten wie die Alte Feuerwehr zu verwenden – nicht weiterverfolgen lassen. Erstens weil diese Räumlichkeiten hinsichtlich sanitärer Einrichtungen etc. nicht geeignet sind und weil ich zweitens benutzte Räumlichkeiten nicht einfach leerräumen lassen kann. Aber trotzdem bin ich über jeden Hinweis dankbar, über den wir nachdenken können.

Wiener Neudorf wird diesbezüglich eher in kleinen Einheiten helfen können. Wir haben bereits Ideen, über die ich noch nicht sprechen kann, weil es noch Fragen gibt, die wir vorher intern bzw. mit Organisationen abklären müssen. Ich kann mir auch vorstellen, Wiener Neudorfer/-innen, die bereit sind, Asylanten bei sich zuhause aufzunehmen, zusätzlich zu den Tagsätzen finanziell zu unterstützen. Auch das müssen wir noch eingehend besprechen. Bei aller Notwendigkeit, unser Budget zu sanieren, werden wir hier ganz sicher Möglichkeiten der Finanzierung finden.

Weil die an mich gerichteten Nachrichten bei diesem Thema immer mehr werden, habe ich es für richtig gehalten, Sie auf diesem Weg umgehend zu informieren. Ja, es ist Thema – auch in Wiener Neudorf. Ja, die Gemeindeverantwortlichen sind dran. Ja, Wiener Neudorf wird selbstverständlich einen Beitrag leisten (welchen, das müssen wir noch intern diskutieren bzw. abwarten, welche Lösungen Bund und Land vorschlagen).

4 Gedanken zu „Was tun mit den Flüchtlingen?

  1. Ein_Moedlinger

    Ich bin wütend, so richtig wütend – und das soll KEIN Roland Düringer-Zitat darstellen. Wütend, weil die Situation so verfahren und schwierig ist; wütend, weil nahezu alle Beteiligten sie täglich bewusst und unbewusst, gewollt und ungewollt noch schwieriger machen.

    • Wütend, weil die Situation nicht „plötzlich“ vom Himmel fiel, und man Zeit zur Vorbereitung hatte …

    Betrachten wir die letzten 100 Jahre, so lag der afrikanisch-arabische Raum unter dem Joch Euopas bzw. des „Westens“, primär dem WK II ist es zu „verdanken“, dass ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts mehr und mehr Staaten ihre theoretische Unabhängigkeit erlangten – leider geprägt von Jahrhunderten der Unterdrückung – Europa hat seine Kolonien unvorbereitet mehr oder minder sich selbst überlassen, gewisse stakeholder wollten auch keinen selbstbewussten und funktionierenden Kontinent, denn mit Chaos und Krieg lässt sich in Form von Kriegsgerät und Raub der Bodenschätze ein gutes Geschäft machen. Kurzum – hier hat Europa (und das sind wir alle!), die USA, „der Westen“ über Jahrzehnte viel vergeigt, man darf sich also heute nicht wundern, dass Europa als Zufluchtstätte gesehen und entspreched begehrt ist. Daran ist NICHT der einzelne Flüchling schuld!

    Betrachten wir die jüngere Vergangenheit, so ist für diesen Raum der 2010 ausgebrochene „Arabische Frühling“ relevant, und hierbei insbesondere der NATO-gestützte Sturz Muammar al-Gaddafis, der das ehemals recht gut entwickelte Libyen in Chaos und religiösen Phanatismus (IS) stürzte. Dies ist insofern relevant, als unter Gaddafi Libyen eine Flüchtlings-Barriere in Richtung Europa darstellte (Stichwort Italienisch-Libyscher Freundschaftsvertrag) und zugleich in großer Zahl kontinentale Gastarbeiter-Arbeitsplätze anbot. Hinzu kommt das Drama in Syrien und das von den USA im Irak zurückgelassende Chaos – heute ebenso eine Spielwiese des IS.

    Die Jugoslawien-Krise in den 90ern traf Österreich bzw. Europa wesentlich unvorbereiteter, und wir haben mehr Flüchtlingen in kürzerer Zeit besser helfen können, der Flüchtlingsstrom aus dem arabisch-afrikanischen Raum bot uns eine Vorlaufzeit von vielen Jahren – und was haben unsere Politiker unternommen? Wohl nicht viel mehr als an den nächsten Wahltermin gedacht, jedenfalls haben sie nicht ihre Hausaufgaben erledigt, und wie für Österreich so typisch wird nicht „regiert“ sondern „reagiert“ (und diesmal ziemlich spät).

    • Wütend, weil Hetzer und Ketzer von FPÖ über Identitäre (im Endeffekt nicht viel anderes als unterbelichtete, geistig eindimensionale (Neo?) Nazis reloaded) mit Desinformation und Panikmache hausieren gehen, und „unsere“ Politiker darauf keine Antwort, keine Fakten, keine Lösungen finden.

    Dabei wäre das Motto doch so einfach – Fairplay den Flüchtlingen gegenüber, Fairplay den Europäern gegenüber (und damit ist der Mödlinger genauso wie der Wiener Neudorfer wie der Grazer, Linzer, Berliner usw. gemeint). Auch wenn manche es gerne wollen würden, inbesodere angesichts der Bilder aus Traiskirchen, vom Eurotunnel, aus Lampedusa, vom Mittelmeer – Europa kann nicht weite Teile der arabisch-afrikanischen Bevölkerung aufnehmen – damit wäre niemandem geholfen, aber wir können und müssen Kriegsflüchtlingen temporär einen sicheren und würdigen Hafen bieten, Verfolgten aufgrund politisch-religiösen Gründen auch dauerhaftes Asyl, das steht wohl außer Diskussion.
    Fairplay bedeutet aber auch, den Menschen keine falschen Hoffnungen zu machen im Hinblick auf dauerhaften Aufenthalt etc. und dies auch klar zu formulieren. Für die Zeit ihres legalen Aufenthaltes ist jedoch eine Behausung, Nahrung, medizinische Versorgung – und ganz ganz wichtig – Ausbildung und Beschäftigung zu ermöglichen. Damit beugen wir Kriminalität vor, stabilisieren die mit furchtbaren Erlebnissen geprägten Menschen, können damit vielleicht sogar manch Österreicher helfen (Landwirtschaft, kommunaler Bereich) – und das angeeignete know-how hilft diesen Menschen wiederum, wenn sie zurück in ihre Heimat können bzw. müssen, es können Freundschaften entstehen, es findet Kommunikation statt – zumeist der Schlüssel zum Erfolg. Jedenfalls alles besser als diese Menschen untätig in Massenlagern vegetieren zu lassen und sie nichts tun können, nicht wissend was morgen sein wird.

    Gegen reine Wirtschaftsflüchlinge wiederum hilft es wohl am besten direkt in den Ländern Projekte zu betreiben – aber auch hier hat Österreich leider keine rühmliche Rolle, denn unsere Ausgaben an Entwicklungshilfe sind viel zu gering, wir investieren offenbar lieber in resultierende Folgekosten. Europa und Österreich sollte mehr an die jeweilige historische Verantwortung denken.

    • Wütend, weil in den Köpfen zahlreich Angst und Panik vorherrscht anstatt Tatkraft und Engagement …

    Es ist für mich erstaunlich wie ruhig und zivilisiert es in Traiskirchen zugeht. Traiskirchen selbst hat etwa 6.600 Einwohner, und derzeit nochmals irgendwo zwischen 4.000 bis 5.000 Flüchtlinge, angesammelt auf kleinster Fläche. Restlos verständlich ist, dass dies befremdlich wirkt, dass dadurch Ängste entstehen. Man sieht diese Bilder und denkt sich … sitzen, schlafen, unterhalten sich auch bald in meiner Gasse so viele mir fremde? Nein, wenn nicht jeder nach dem Floriani-Prinzip agiert – was jedoch bisher die Mehrheit der rund 2.400 Bürgermeister Österreichs tut – „Furchtbare Situation, helfen ja, aber bitte nicht bei mir – Sie wissen, die nächste Wahl … und so“ oder „Schau ma mal, was Bund und Land … und so“.

    Ja, schau ma mal.

    Inzwischen stehen weiter Kasernen leer (sogar eine in der Nähe, „Pension“ Martinek, oder die Polizeischule in Mödling (da meint BGM Hintner, dass kein Kanalanschluss mehr vorhanden sei – ist der etwa weggelaufen?), Flüchtlinge werden – ganz neu – in der Siak Traiskirchen in Postbusse einquartiert, man darf diesen Neuankömmlingen nichtmal Windel etc. für ihre Kinder geben (http://derstandard.at/2000020524350/Traiskirchen-Fluechtlinge-in-Bussen-festgehalten: Zitat: „Keine Windeln für Babys – Eine mit den Zuständen im Lager gut vertraute Person erzählt, dass sich in den Bussen Babys befinden würden. Für sie sei das Ausharren in den zum Teil in der Sonne stehenden Fahrzeugen besonders schlimm. Als Lagermitarbeiter versucht hätten, Windeln zu den Bussen zu bringen, sei ihnen dies verboten worden.“) … bravo.

    • Wütend, weil man sich angesichts dieser Minister, dieser Landeshauptleute, vieler Bürgermeister als Österreicher im Stich gelassen fühlt …

    Da werden Paragraphen gefunden bzw. als Grund genannt warum dieses und jenes temporär nicht möglich sei, kaum jemand hat entsprechend Integrität und Anstand Klartext zu sprechen und zu handeln. Ist das „mein“ Östereich? Nein, weite Teile der Bevölkerung wollen diese Zustände ohnedies nicht – stoßen jedoch zahlreich auf taube Ohren.

    Klar, Österreich darf nicht hinsichtlich Flüchtlingsströmen „Zielgebiet Nr. 1“ werden, hier wäre der Europäische Gedanke einmal mehr gefordert – aber wenn „Sankt Florian“ schon nicht im klein-regionalen klappt, wie …. aber darf man deshalb aufgeben? Angeblich sind wir ja ein katholisches Land (was immer das auch ist) – wo ist die Kirche, wo die offenen Klöster, wo … ? Nächstenliebe nur am Sonntag zur Heiligen Messe? Gibt es dafür das Instrument der Beichte?

    Es wird weit mehr brauchen als Zelte, Busse, Verzögerungstaktik, Frontex-Aufstockungen etc. um die aktuelle Situation menschenwürdig, sinnvoll und vor allem auch nachhaltig zu lösen – und jeder ist gefordert – der Dorfbürgermeister genauso wie die Bundesregierung, der einzelne Bürger und auch jeder Flüchtling selbst, dem man genauso eine Stimme geben sollte.

    Auf jeden Fall braucht es mehr Kommunikation und mehr Miteinander, aber sicherlich keine Hetze, keinen „HC“, keine erlogenen Fakten, keine erfundenen Krone/Österreich-Berichte, keine Facebook-Panik bzw. -Desinformation. Unseren Urgroßeltern, Großeltern, Eltern ist im WK I oder WK II ebenso geholfen worden, und diese Kriege haben weniger lang gedauert als manch aktueller Konflikt – auch das darf man nicht vergessen. Nur sehr wenige verlassen ihre Heimat gerne und wirklich freiwillig – sprechen Sie mal mit den Leuten … manch einem soll dabei schon ein Licht aufgegangen sein.

  2. Anita Waltner

    Ich schäme mich für so Vieles in diesem Land ,ich unterstreiche diesen Kommentar dreifach!
    Manchmal fehlen einem die Worte,danke für Ihre Worte….

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