Hilfe! Was ist mit den Wählern los? Aber: Ist überhaupt was mit den Wählern los?

 

Ich muss mir das jetzt einfach von der Seele schreiben.

Im jeweiligen Ausland wird nur mehr kopfgeschüttelt. Außerhalb der USA wundern sich fast alle über den Wahlausgang in den USA. Da gewinnt ein äußerst fragwürdiger Kandidat aus dem Establishment die vielleicht wichtigste Wahl der Welt weil er gegen das Establishment – und damit gegen sich selbst – auftritt. Außerhalb von Ungarn wundern sich fast alle über die Wahlerfolge von Viktor Orbán. Außerhalb der Türkei wundern sich definitiv alle über die breite innerstaatliche Zustimmung zu den Machenschaften eines Recep Tayyip Erdogan. Dass es in Russland eine Mehrheit für Vladimir Putin gibt ist sowieso vielen suspekt. Gut, Nordkorea ist sowieso ein eigenes Kapitel. Plötzlich lechzt das Land der republikanischen Revolution mit Marine Le Pen wieder nach einer Scharfmacherin. In Großbritannien nimmt die Mehrheit eine höhere Arbeitslosigkeit in Kauf und Milliarden von Pfunde in die Hand, um aus der EU auszusteigen, aber um andererseits bilaterale Verträge abzuschließen, gegen die sie eigentlich sind. In Österreich wird in zwei Wochen knapp mehr oder knapp weniger als die Hälfte der bei der Wahl Teilnehmenden jemand wählen, der uns das Wundern beibringen möchte. (Da ich keinen Blog-Roman schreiben möchte, höre ich mit den Aufzählungen jetzt einmal auf.)

Während im jeweiligen Ausland nur mehr über das jeweilige betreffende Inland kopfgeschüttelt wird, versuchen Politikversteher des jeweiligen Inlands das Wahlverhalten der eigenen Wähler zu verstehen oder zu erklären.

Das Ausland hätte Hillary Clinton gewählt – und zwar eindeutig. Im Ausland hätte es ein Donald Trump wohl nicht einmal zu einem Auftritt in „Willkommen Österreich“ gebracht. Andererseits, ohja, das hätte er geschafft. Im Ausland wäre Orbán längst abgewählt in Politpension und Inhaber eines millionenschweren Lobbyistenvertrages. In Österreich greifen sich zwar viele wegen der Zustimmung zum Brexit auf den Kopf, um jemand zu wählen, der mit dem Öxit spekuliert, was wiederum viele im Ausland dazu bringt, sich auf den Kopf zu greifen.

Jahrzehntelang haben unsere Altvorderen mit den Überlegungen der Aufklärung für die Demokratie gekämpft und haben großteils ihr Leben gelassen. Vor Hundert Jahren war es dann plötzlich cool und modern populistische Autokraten zu wählen. Was daraus geworden ist, wissen wir. Dann hat sich mühevoll wieder die Demokratie durchgesetzt. Es geht uns, zumindest in Europa, so gut wie noch nie. Aber es lehrt die Philosophie, dass mit der Sättigung die Unzufriedenheit steigt. Irrational, aber leider wahr. In meiner Jugend, so vor vierzig Jahren, war ein geflügeltes Wort, das immer wieder zu hören war: Ein kleiner Hitler gehörte her. Nein, kein echter, wahrhaftiger, sondern irgendwie ein kleinerer, ein etwas besserer als der echte gewesene. Das hat mich schon damals auf die Palme gebracht.

Jetzt sind wir wieder so weit, dass es eine breite Sehnsucht nach populistischen Autokraten gibt, Hauptsache sie wissen alles besser, Hauptsache sie sind laut, Hauptsache sie sagen es „denen da oben hinein“, Hauptsache sie versprechen alles anders zu machen – wie und was ist nicht so wichtig, Hauptsache sie denken lokal und nicht global. Autokraten können auch nicht anders als im Kleinen und in Grenzen zu denken, das ist ja ihr Wesenszug und die einzige Chance Macht zu bekommen und vor allem die Macht zu behalten. Natürlich wissen das die Wähler und trotzdem wählen sie derzeit so wie sie wählen.

Da fragt man sich natürlich „Was ist mit den Wählern los?“. Was erwarten sich die Wähler von so einem Wahlausgang? Was erwarten sich die Wähler von Populisten? Natürlich ist es mit einem gewissen Nervenkitzel verbunden, beispielsweise einen Donald Trump zu wählen. Wir werden alle in vier Jahren durchatmen, wenn nichts passiert sein wird. Und Nervenkitzel gehört doch zum Leben dazu. Wir fahren ja auch gerne Achterbahn, feiern Halloween, gehen gratis zu Krampusläufen und leben im Zeitalter von Horrorclowns. Meine 2jährige Enkeltochter freut sich auch diebisch darüber, wenn ich hinter einer Ecke stehe und sie plötzlich sanft erschrecke.  Die Sehnsucht nach dem Nervenkitzel ist uns offenbar genetisch immanent. Das würde das Wahlverhalten der US-Amerikaner – und vieler anderer – plötzlich wissenschaftlich logisch erscheinen lassen. Vielleicht gehört das Wissenwollen, worüber wir uns wundern werden, auch zu diesem Nervenkitzel dazu. Könnte sein.

Populisten versuchen die Welt bekanntlich immer leicht zu erklären. Ich halte mich zwar nicht für einen politischen Populisten, aber ich suche auch nach einer leicht verständlichen Antwort. Ich denke, nachdem wir aufgehört haben, ideologisch zu wählen, leben wir im Zeitalter des Wählens nach dem Ausschluss-Verfahren. Wähler wählen gerne, das ist meine Überlegung, die- oder denjenigen, die/der nach dem „A, Be, Bu und drauss’t bist Du“-Verfahren, übrig bleibt. Viele würden dazu sagen: Das kleinere Übel.

Wen ich Clinton und Trump nicht ausstehen kann, aber Clinton ein Stück mehr nicht, dann bleibt nur Trump über. Wenn ich Hofer und Van der Bellen nicht ausstehen kann, aber Hofer noch weniger als Van der Bellen, bleibt Van der Bellen über – bzw. umgekehrt.

Wenn ich Hollande generell nicht mag und Sarkozy generell auch nicht, dann bleibt nur Le Pen über, außer ich mag sie generell auch nicht – oder ich bleibe bei der Wahl zu Hause. Und wenn ich der Meinung bin, dass alle anderen sowieso nur Versager sind, dann probiere ich halt …..

Menschen sehen gerne die Schwächen der anderen. Aber jeder Mensch hat seine Stärken. Diese sollten wir bewerten, auch bei Politikern. Vielleicht sollten wir Wähler wieder beginnen, nicht das kleinere Übel, sondern das größere Bessere zu wählen und unvoreingenommen bewerten, wer und warum jemand für die jeweilige Position der/die Bessergeeignete und nicht der/die weniger Schlechtgeeignete ist. Es ist für mich wirklich eigenartig, dass man dafür im Ausland offenbar den besseren, weil neutraleren Überblick hat.

Heisst das dann aber, dass besser eher nicht die im Wahlland Lebenden wählen sollten, sondern die anderen? Das kann es aber doch auch nicht sein. Ich glaube, ich habe mich jetzt in einen Wirbel hineingeschrieben.

7 Gedanken zu „Hilfe! Was ist mit den Wählern los? Aber: Ist überhaupt was mit den Wählern los?

  1. Wiener Neudorfer

    Lieber Herr Janschka,

    in Wirklichkeit ist es so, dass Trump, Hofer, Orbán, Putin, Le Pen derzeit in fast JEDEM Land von der Bevölkerung gewählt werden würden, nicht nur im jeweiligen Inland.

    Ich würde nicht darauf wetten, das ein Orbàn bei uns keine Wahlen gewinnen würde.

    Dass, was Sie als „Ausland“ erwähnen, ist das besorgte, abgehobene Establishment, das ein Jagdrevier nach dem anderen verloren gehen sieht.

    Warum das so gekommen ist? Fragen Sie die Bevölkerung!

  2. Sascha Träger

    Es scheint als würde es „die Linke“ nicht schaffen die Bedürfnisse „der Masse“ zu befriedigen und es scheint als ob „die populistische Rechte“ erst gar nicht daran denkt derlei nach den Wahlen auch wirklich zu tun. Haider, Perlusconi und soeben auch Trump (eine Woche nach der Wahl) zeigen, dass es ihnen sicher nicht um die Probleme „des kleinen Mannes“ geht. Warum wir es scheinbar nicht schaffen beständige und weitsichtige PolitikerInnen zu WÄHLEN (zu bekommen), liegt aus meiner Sicht AUCH daran, dass wir schon viel zu lange keine Weiterentwicklung/Anpassung der „modernen Demokratie“ geschafft/zugelassen haben.

    DANKE Herbert für deinen mutigen und aufWIRBELNDEN Artikel! Wenn wir mehr Klarheit über deine berechtigt kopfschüttelnden Fragen bekommen möchten, hören wir heute Freitag um 16h vielleicht einen sehr interessanten Beitrag zur Thematik auf Ö1.

    GLÜCK AUF!

  3. Oliver Woller

    Die SPÖ/ÖVP Regierung fragt sich, was mit den Wählern los ist…
    Soll das ein 1 – April Scherz sein?
    Die SPÖ/ÖVP züchtet seit Jahren PROTESTWÄHLER und merkt es noch nicht mal!

    (X) Bananenrepublik

  4. Oliver Woller

    „Das Ausland hätte Hillary Clinton gewählt – und zwar eindeutig.“

    Die AMIS sind „angefressen“ und daher gab es sehr viele PROTESTWÄHLER.
    Weiterführend tanzt der US Präsident sowieso nach der Pfeife der „nicht gewählten Entscheidungsträger“.
    Obama hat sich nach seinem Amtsantritt innerhalb kürzester Zeit um 180 Grad gedreht.
    Tja, warum wohl… „Am globalen Monopolytisch haben die gewählten Marionetten nun mal nichts zu bestimmen.“ Schon gar nicht in den USA.

    Unsere Bananenrepublik mit den USA zu vergleichen ist einfach nur lächerlich.
    Die USA fährt ein ganz anderes System, dass seine Vor und Nachteile hat.

    Man sollte anderen Staaten nicht seine „Politik“ aufdrängen…

    Außerdem sind Vergleiche zwischen kleinen und großen Staaten (Bevölkerungsanzahl) sowieso nicht möglich.

    1. Wiener Neudorfer

      Ich behaupte nochmals: kein Land der Welt hätte Hillary Clinton gewählt, wenn man unter „Land“ das normale Wählervolk versteht! Die Führungselite sehr wohl, na eh klar!

  5. Elisabethwirbe

    Wirbel hin,Wirbel her……Der Wähler KANN NUR DEN/DIE WÄHLEN ,DER/DIE/ ZUM WÄHLEN AUF DER LISTE STEHT!
    Wenn ich mit den Kandidaten nicht einverstanden bin,dann wähle ich sie nicht…? aber wie geht’s dann weiter? Gehe ich nicht zu Wahl? Das mache ICH nicht,wähle ich ungültig? Das mache ICH SCHON GAR NICHT…was nun?
    Ich kann also nur den sog.“kleinere Übel“
    wählen . So ist es mit der „QUAL DER WAHL“

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